Das zentrale Problem bei Diabetes mellitus Typ 2 ist eine Dekompensation der Fettspeicherkapazität des Körpers.
Wir wissen seit den sechziger Jahren, dass beim Diabetes mellitus Typ 2 nicht etwa – wie bis dahin vermutet – ein Insulinmangel besteht, sondern im Gegenteil eine erhöhte Insulinsekretion beobachtet werden kann, die aber zur Senkung der Blutglukose nicht genügend wirksam ist: es besteht eine „Insulinresistenz“ der Zellen. Bis heute wird die Insulinresistenz als eine krankhafte Veränderung der Zellen interpretiert, die es zu überwinden gilt.
Diese Sichtweise resultierte aus der traditionell üblichen Glykämie-zentrierten Anschauung, die bis heute unverändert besteht. Verständlich, da die Glucose im Blut am einfachsten und schnellsten bestimmt werden kann und die gesamte Erkrankung „Diabetes mellitus Typ 2“ durch die erhöhte Blutglukose definiert ist.
In neuerer Zeit kommt man nun mehr und mehr zu der Ansicht, dass der Glukosegehalt des Blutes nicht das Alleinentscheidende und Wesentliche des Diabetes mellitus Typ 2 ausmacht. Es liegt also nahe, noch einmal grundsätzlich über das Wesen der Insulinresistenz nachzudenken.
Im Folgenden biete ich ein Denkmodell an, das widerspruchsfrei zu allen bisherigen Beobachtungen und Studien steht.
Im Mittelpunkt dieses Modells steht die Speicherkapazität des Fettgewebes:
Bei Überernährung (also positiver Energiebilanz) wird die überschüssige Energie im Körperfett gespeichert. Es ist bisher unklar, wie groß die Speicherkapazität ist. Alle biologische Erfahrung sagt uns aber, dass sie
Was erwarten wir also bei einem Menschen, der bei chronischer Überernährung die Grenzen seiner individuellen Fett-Speicherkapazität erreicht hat?
Diese Erwartungen werden durch die bekannten Beobachtungen bestätigt:
Welche Konsequenzen hat das für die Therapie Diabetes Typ 2?
Somit ist klar, dass eine Gewichtabnahme, mit welchen Mitteln auch immer, eventuell unterstützt von Metformin und DPP-IV-Inhibitoren bzw. Exenatiden die Therapie der Wahl darstellt.
Also nichts Neues, wenn man die Publikationen der letzten Jahre betrachtet. Neu ist bei diesem Ansatz, dass die Überernährung nicht nur das Risiko erhöht, sondern direkte Ursache des Diabetes mellitus Typ 2 darstellt.
Es stellt sich nun die Frage, welche Therapie wir einem Menschen anraten, der nicht abnehmen kann oder will. Wie lange können wir einen hohen HbA1c tolerieren?
Die Therapie mit Insulin, Sulfonylharnstoffen oder Gliniden senkt den Blutzucker (zumindest kurz- und mittelfristig), verstärkt aber die Zellbelastung.
Kernpunkt der Frage ist also, ob eher die erhöhte Blutglucose oder die Zellschädigung durch Glucosebelastung verantwortlich für die gefürchteten Folgeschäden ist.
Für die mikrovaskulären Risiken scheint der Zusammenhang mit der Hyperglykämie gesichert.
Gerade bei den wichtigen, nämlich den makrovaskulären Risiken ist die Studienlage aber fraglich. Nur die 10-Years-Follow-up-Studie (der UKPDS) hat einen Hinweis erbracht, dass eine Insulin-Therapie das Risiko reduziert – allerdings mit sehr wenigen Patienten in der Auswertung nach 10 Jahren und einem für mich nicht nachvollziehbarem Studiendesign.
Darüber hinaus ist statistisch gesehen eine Situation fraglich, in der eine Studie ein Ergebnis nachweist, welches unzählige andere Studien nicht nachweisen konnten. Bekanntlich bedeutet ein Signifikanzniveau bei p=0,05, dass die Irrtumswahrscheinlichkeit für das Ergebnis 5 % beträgt. Schon bei 20 Studien wäre demnach eine mit einem positiven Ergebnis zufällig zu erwarten.
Ein grundsätzliches Problem bei allen bisherigen Studien ist weiter, dass Diabetiker im Allgemeinen nur in Typ 1 und Typ 2 aufgeteilt werden. Alle Typ 3 – Diabetiker werden anscheinend unter Typ 2 subsumiert, und das sind nicht wenige (in meiner eigenen Praxis 33 Patienten, entsprechend 23 % der von mir behandelten Diabetiker). Bei Typ 3 – Diabetikern werden häufig Insulin oder auch Sulfonylharnstoffe eingesetzt, was zu einer verbesserten Stoffwechselsituation führt. Ohne Differenzierung dieser Diabetes-Untergruppen ist daher eine Studie prinzipiell nicht aussagekräftig.
Der Begriff „Messie-Syndrom des Stoffwechsels“ wurde mit Bedacht gewählt – es handelt sich um eine Krankheit durch ungeregelte, nicht bedarfsgesteuerte Aufnahme von Lebensmitteln.
Vergleichen wir nun die therapeutischen Maßnahmen bei Diabetes mellitus Typ 2 und beim Messie-Syndrom:
Ernährungsberatung, Bewegungsempfehlung greifen leider nur bei einem Teil der Patienten. Sie entsprechen etwa der Beratung von Messies nach Feng shui: ein bisher gedankenlos-unordentlicher Mensch kann danach sein Leben umstrukturieren, bei einem „echten Messie“ ist keine Wirkung zu erwarten.
Insulin, Sulfonylharnstoffe und Glinide entsprechen einem Sozialarbeiter, der in der Wohnung aufzuräumen hilft und damit wenigstens das Treppenhaus zeitweilig freischafft (wobei wegwerfen nicht möglich ist).
Glitazone entsprechen beim Messie dem zusätzlich bereitgestellten Kellerraum.
Eine bariatrische Operation entspricht dem Sozialarbeiter, der vor der Wohnung Wache steht und das Anschleppen von zusätzlichem Müll verhindert.
Problematisch für uns sind ja nicht die Patienten, die durch Aufklärung und Ernährungsberatung zu einer geeigneten Lebensführung kommen. Für die wirklichen „Lebensmittel-Messies“ ist eher eine psychotherapeutische Intervention, vielleicht auch mit Hypnose, angezeigt.