Im Folgenden werde ich eine verständliche Definition des Begriffs „Surrogatmarker“ entwickeln.
Wir gehen von einem „medizinischen Phänomen“, sprich einer Krankheit aus. Auch heute wissen wir bei weitem nicht immer den eigentlichen Krankheits-Mechanismus. Eher schon kennen wir die unerwünschten, z. T. gefährlichen Folgen.
Eine Behandlung, hier Intervention genannt, soll diese Folgen verhindern, abschwächen oder hinauszögern.
Ursprünglich haben wir den Erfolg einer Intervention daran gemessen, dass der Patient berichtete: „Es geht mir wieder gut“.
Allerdings kann dieses Messkriterium (Patient berichtet von Besserung/Heilung) nur einen Bruchteil der Fälle lösen. So möchte ich bei der Behandlung eines schwer erkrankten Menschen frühzeitig wissen, ob ich mit meiner Intervention auf dem rechten Wege bin.
Beispielsweise möchten wir bei der Behandlung einer schweren Pneumonie auf der Intensivstation nicht erst durch den Tod des Patienten erfahren, dass wir das falsche Antibiotikum gewählt haben.
Die Pneumonie selbst als „medizinisches Phänomen“ entzieht sich aber unserer direkten Beobachtung – diese ist erst postmortal durch den Pathologen möglich. Wir benötigen also Parameter, welche mit dem Grad der Erkrankung beziehungsweise Gesundung einhergehen und gut messbar sind: die „Surrogatmarker“.
Für unsere Pneumonie bieten sich an:
Was könnte nun einen guten Surrogatmarker auszeichnen? Natürlich in erster Linie die gute Korrelation zum Krankheitsgeschehen. Darüber hinaus sollte er auch einfach, zeitnah und kostengünstig bestimmt werden können, objektiv(das heißt unabhängig vom Beobachter) sein und eine zeitnahe Reaktion auf Änderung des Krankheitsgeschehens aufweisen.
Soweit die Wünsche im täglichen Medizinerleben. Wenn es um Studien geht, werden die Surrogatmarker umso wichtiger: Der Erfolg einer Intervention muss quantifizierbar und vergleichbar gemacht werden. Dies ist mit Hilfe der Surrogatmarker gut möglich.
Nun kommen wir zum eigentlichen Problem der Surrogatmarker (oder der Studieninterpretation):
Angenommen, wir haben ein Krankheitsgeschehen und einen Surrogatmarker, der idealerweise sämtliche der oben aufgezählten Bedingungen erfüllt. Es ist nun möglich, dass eine Intervention lediglich den Surrogatmarker in positiver Weise verändern, ohne das Krankheitsgeschehen zu beeinflussen. Diese Situation nennt man im Medizinerjargon „Laborkosmetik“.
Ein Beispiel aus dem Alltag: Die Tankfüllung meines Autos ist meiner Beobachtung nicht direkt zugänglich. Der Surrogatmarker heißt „Tankanzeige“, die Intervention „Benzin nachfüllen“, das Interventionsziel ist die Fahrtauglichkeit. Die Interventionen „Himbeersaft in den Tank gießen“, „Tanknadel hochbiegen“ oder „Aufkleben des Bildes einer vollen Tankanzeige“ würden lediglich den Surrogatmarker ändern, nicht aber das eigentliche Problem lösen („Benzin reicht nicht“).
Das Auto ist aber von Menschenhand gebaut und ich durchschaue die Zusammenhänge zumindest so weit, dass ich niemals auf eine solche verrückte Idee käme. Den menschlichen Körper durchschauen wir jedoch bei weitem nicht so gut.
Ein medizinisches Beispiel: Das Krankheitsgeschehen sei eine fieberhafte Erkrankung wie Pneumonie, Typhus, Masern oder Pest, aber auch Gelbfieber, Drei-Tage-Fieber und Malaria (=Sumpffieber). Der Surrogatmarker ist das Fieber, die Intervention ist die Fiebersenkung mit 1) Aspirin, 2) Paracetamol 3) Wadenwickel. Die Intervention beeinflusst lediglich den Surrogatmarker, nicht aber die Erkrankung. Trotzdem ist eine solche Behandlung seit Jahrtausenden Tradition. Obwohl inzwischen nachgewiesen ist, dass Fiebersenken eine Infektion sogar ungünstig beeinflusst, hat man bis heute noch nicht ganz von dieser Tradition gelassen. Dabei scheint es besonders problematisch zu sein, wenn das Wort „Fieber“ im Krankheitsnamen vorkommt. Dadurch wird suggeriert, dass das Fieber die Krankheit im wesentlichen ausmacht. Auf diesen interessanten Aspekt werden wir später noch zurückkommen.