Glukoneogenese – Eine Fallvorstellung


Statistik und Logik für Mediziner - Teil 8

Ich lernte Frau K. bei Praxisübernahme 1997 kennen. Damals war sie 73 Jahre alt, eine überschlanke, drahtige Person (170 cm, 49 kg). 1980 war ein Magen-CA diagnostiziert worden, welches in das Pankreas infiltriert war. Mit dem größten Teil des Magens waren Pankreas-Corpus und –Schwanz reseziert worden. Ohne Chemotherapie oder Radiatio hatte sie seither kein Rezidiv erleben müssen.


1998 diagnostizierten wir einen Diabetes mellitus mit einem  HbA1c von 7,3 %, sie erhielt daraufhin Glimeperid. Zwei Jahre später wurde eine exokrine Pankreasinsuffizienz festgestellt. 2003 wurde C-Peptid mit 4,0 ng/ml leicht erniedrigt gemessen.

Im Oktober 2004 war Frau K. dann mit einer Insulin-Therapie einverstanden, nachdem der HbA1c bis auf 8,7 % gestiegen war bei gleichzeitiger Gewichtsabnahme bis auf 44 kg. Das Körpergewicht stieg auf 51 kg, es konnten HbA1c-Werte um 7 % erreicht werden, Die Insulingaben lagen im Bereich von 40 bis 54 IE täglich. 2010 wurde C-Peptid mit 2,6 ng/ml  weiter erniedrigt gemessen.
Im Folgenden  entwickelte Frau K. langsam aber stetig eine Demenz. Es kam zu einer progrediente Gewichtabnahme bis auf 43 kg. In diesem Zustand wurde sie im Juni 2012 wegen Stürzen bei Schwindel stationär aufgenommen. Bei Entlassung war von einem Diabetes nicht mehr die Rede: Ohne jede Therapie lagen die gemessen Blutzuckerwerte im Normbereich.

Frau K. konnte sich nun nicht mehr allein versorgen und wurde in ein Pflegeheim aufgenommen. Die Gewichtabnahme bis auf schließlich 39,2 kg konnte aber auch dort nicht aufgehalten werden. Zu meinem Erstaunen lag der HbA1c bei 4,3 %, auch Fruktosamin lag mit 219 nmol/l im Normbereich. Die Laborwerte waren also in Ordnung, aber die Patientin wirkte eher präfinal als „geheilt“.


Was war geschehen?

Wir können davon ausgehen, dass es sich 1998 bis 2012 um einen Diabetes mellitus Typ 3c gehandelt hat (eine zunehmende endokrine Pankreasinsuffizienz nach Teilresektion 1980).  Der Diabetes mellitus Typ 3c ist zwar manchmal reversibel (insbesondere nach alkoholinduzierten Pankreatitiden), in diesem Fall ist es aber schwer vorstellbar.  Zudem zeigt sich die Erholung des Pankreas in einem langsamen Rückgang des Insulinbedarfs, nie so plötzlich.

Frau K. wirkte auch gar nicht „gesund“, der BMI war auf 15,3 gesunken – trotz hochkalorischer Kost, die sie aber nur spärlich zu sich nahm.
Wie konnten nun normale BZ-Werte gemessen werden? Warum leine Glukoneogenese, warum keine Ketonurie?
Könnte es sein, dass der Körper bei ausgeprägter Kachexie nicht mehr zur Glukoneogenese fähig ist – aus der Mangelsituation heraus? Und ebenso keine Fettsäuren in ausreichendem Masse mehr zur Verfügung stehen, so dass auch keine Ketonkörper anfallen? Denkbar wäre das!


Unter diesen Überlegungen begannen wir erneut (bei einem Nüchtern-Blutzucker von 102 mg/dl) mit der Insulingabe, wir begannen mit 2 x 4  I.E. Basal-Insulin.

Der Gedanke war, dass das Insulin Glucose in die Zellen transportieren soll, um diese zu ernähren. Die Blutzuckermessungen sollten sicherstellen, dass genug Glucose für die Hirnversorgung zurückblieb.
Und wir waren erfolgreich! Inzwischen wiegt Frau K. wieder 45,3 kg bei einer Insulingabe von 2 x 16 I.E. Actraphane 30/70,  der HbA1c liegt bei 7,6 % (wir werten das als Erfolg und als Möglichkeit, das Insulin zu steigern). Und auch klinisch ist die 88-jährige Dame deutlich kräftiger.