Surrogatmarker bei Diabetes mellitus


Statistik und Logik für Mediziner - Teil 3

Wenden wir nun unser Wissen über Surrogatmarker auf den Diabetes an. Wir beginnen mit der einfachsten Form, dem Diabetes mellitus Typ 1. Als erstes versuchen wir zu erfassen, was das „eigentliche Krankheitsgeschehen“ ist – denn die namengebende Glucosurie ist es sicher nicht.

Der Diabetes mellitus Typ 1 ist eine Immunerkrankung des Pankreas. Die langerhansschen Inselzellen werden dabei zerstört, so dass zunehmend weniger Insulin gebildet wird. Dieser Prozess lässt sich bisher weder aufhalten noch rückgängig machen. Die Folge ist, dass zunehmend Insulin im Körper fehlt. Das Insulin wiederum hat die Aufgabe, die aus der Nahrung gewonnene Glucose aus dem Blut in die Zelle zu transportieren. Die Ernährung der Zelle basiert auf Sauerstoff plus Glucose, ohne Glucose in der Zelle ist unser Überleben gefährdet.

Das eigentliche und therapierbare Krankheitsgeschenen ist also der Glucosemangel in der Zelle.

Bei Glucosemangel kann die Körperzelle ihre Energie auch aus Fettsäuren beziehen. Dadurch entstehen allerdings vermehrt Ketonkörper, wodurch der Blut-pH auf gefährliche Art sinken kann. Man spricht dann von einer metabolischen Azidose. Auch dieser Zustand ist auf Dauer mit dem Leben nicht zu vereinbaren.

In dieser Situation ist die Glucose im Blut erhöht, da sie ja nicht in die Zellen transportiert worden ist. Aber auch ohne Nahrungsaufnahme kommt es bei Zell-Glucosemangel zur Hyperglykämie. Sie entsteht durch eine vermehrte Glukoneogenese in Leber und Nieren. Die neu gebildete Glucose kommt aber leider nicht den Zellen zugute, denn ohne Insulin bleibt sie  „im Blut stecken“ .

Was sind nun die geeigneten Surrogatmarker, um den drohenden Zelltod durch Glucosemangel frühzeitig zu erkennen? In Frage kommen:

1) Azidose
2) Ketonurie             
3) Schwäche
4) Hyperglykämie

Von diesen vier Surrogatmarkern ist eindeutig der gemessene Blutzucker am besten geeignet, denn alle geforderten Kriterien sind erfüllt: Die Bestimmung ist einfach, objektiv, zeitnah möglich und preisgünstig, die Korrelation zum Krankheitsgeschehen ist gut und ändert sich auch zeitnah.

Die Glucose-Aufnahme in die Zelle wird bei Diabetes mellitus Typ 1 nur durch Insulingabe erreicht. Die Hypoglykämie ist dabei keine Komplikation der Erkrankung, sondern eine Behandlungs-Komplikation.

Am Beispiel des Diabetes mellitus Typ 1 lässt sich nun auch gut sehen, was die Crux der Surrogatmarker ist: Wenn es uns gelänge, zum Beispiel mittels Dauerdialyse die überschüssige Glucose aus dem Blut zu entfernen und so den Glukosegehalt des Blutes im Normbereich zu halten, so würde das den sicheren Tod des Patienten bedeuten. Es kommt ja nicht darauf an, das Blut von überschüssiger Glucose zu „reinigen“, sondern diese den Körperzellen zuzuführen. Wir würden nur den Surrogatmarker Hyperglykämie, nicht aber das „eigentliche Krankheits-Geschehen“, den Zell-Glukosemangel, beeinflussen.

Jeder Glucosemangel in der Zelle schlägt sich also in einem erhöhten Blutzucker nieder. Gilt das denn auch andersherum? Zeigt also bei unserem Diabetiker jede Hyperglykämie an, dass die Zelle einen Glukosemangel aufweist? Sicher nicht! Auch die exzessive Kohlenhydrataufnahme bei vorher ausgeglichenem Stoffwechsel mündet in einer Hyperglykämie.

Trotzdem: Ohne Hyperglykämie kein Glucosemangel in der Zelle (Ausnahmen bestätigen die Regel, siehe Teil 6). Hyperglykämie vermeiden heißt Zell-Glukosemangel vermeiden, heißt Hauptgefahr abwenden.

Eine andere Frage ist es, ob Hyperglykämien ohne Zell-Glucosemangel schädlich sind. Die vorliegenden Studien können das nicht beweisen, deuten aber stark darauf hin. Daher streben wir bei Menschen mit Diabetes mellitus Typ 1 auf jeden Fall eine normnahe Blutzuckereinstellung an.